07.10.2009

Bundestagswahl 2009: Zweitstimmenanalyse

Die Bundestagswahl 2009 liegt nun anderthalb Wochen zurück und wir alle haben sie verdaut. Unverständlicherweise hat nahezu jede Partei Stimmen bekommen. Wir schauen nach, woher diese Stimmen kamen.

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Los geht's: Weniger Menschen als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik haben gewählt, 43.997.663 an der Zahl. Eigentlich waren es ein paar mehr, aber nur 98,5 derer, die den Gang zur Urne bestritten, gaben auch einen gültigen Wahlzettel ab. Immerhin: 2005 waren es 98,4 Prozent, Deutschland ist also kompetenter in Sachen Wahl geworden. Doch auch wenn die Menschen 2005 dümmer waren: Damals gingen mehr zur Wahl, 48.044.134. Rund vier Millionen mehr als 2009. Wobei man natürlich nicht so pauschal sagen kann, dass einfach vier Millionen die Wahl geschwänzt hatten, die es vorher noch taten: Viele alte Menschen entschlafen, weniger junge Menschen rücken nach.

Wie auch immer: Die Prozente, die die Parteien geholt haben bzw. deren Gewinne und Verluste findet man auf jeder zweitklassigen Nachrichtenseite , das soll uns hier nicht aufhalten. Wenn jemand zwei von drei Stimmen unter 60 Millionen Wahlberechtigten holt, sichert ihm das zwar eine Zweidrittelmehrheit, aber zeugt doch von begrenzter politischer Legitimation. Also steigen wir direkt in die absoluten Zahlen ein:




Ich habe dabei natürlich nicht jede lächerliche Schrottpartei, sondern nur meine Lieblingslisten ausgewählt. Die Graphik sieht ja noch erstmal ganz hübsch aus und entspricht weitestgehend dem, was man so im Fernsehen oder auf zweitklassigen Internetseiten gelesen hat.

Nun aber zu den absoluten Gewinnen und Verlusten:


Und da kommt man plötzlich schon zu ganz anderen Erkenntnissen:

  • Keiner Partei außer der FDP gelang es in wirklich großem Stil Wähler zu gewinnen. Nahezu jeder "Wahlsieg" war ein relativer.
  • Die Verluste der SPD sind gar nicht soooo schlimm.
  • Sie sind schlimmer.
  • Die FDP hat Zweitstimmen mobilisiert. Was Erststimmen angeht, liegt sie sogar hinter den Grünen und der Linken.
  • Auch die extreme Rechte hat in absoluten Stimmen verloren. Die These, dass eine geringe Wahlbeteiligung einen automatischen Anstieg von Affenkreuzen zur Folge hat, scheint hier nicht zu stimmen. (Relativ ist das Ergebnis von NPD/Rep/DVU allerdings weitestgehend mit dem von 2005 identisch). 
  • Gurkenparteien wie die Tierschutz- und Bibelpartei haben hingegen in - für ihre Verhältnisse - großem Stile gewonnen.
Es ergeben sich daraus Veränderungen, die zu klären sind:
  • Wohin gingen die Stimmen der SPD?
  • Woher kommen die Gewinne für FDP/Linke/Grüne?
  • Wohin gingen die Stimmen der CSU?
  • Woher kommen die Piraten?
Das Ergebnis der CDU ist hier uninteressant. Erstens hat sie kau m Verluste hinnehmen müssen, zweitens konnte ihr das eigene Ergebnis egal sein, weil auf die FDP Verlass war. Was die Quellen angeht: Es handelt sich natürlich um Schätzungen. Statista gibt in der Regel geringere Zahlen an als die Süddeutsche. Ich beziehe mich hier aber auf Zahlen der SZ-Online.


Interessant dabei: 1,1 Millionen SPD Stimmen gingen an die Linke, das sind rund 90% aller Stimmen, die die Linke überhaupt hinzugewonnen hat. Lediglich von den Grünen konnte die Linke noch ein paar Wähler gewinnen, von der Union sogar auch ein paar. Spricht dafür, dass die Linkestimmen "eigentlich" SPD-Stimmen sind und sich die SPD mal Gedanken um 'ne gemütliche Zusammenarbeit machen sollte.

Die FDP:


Es überrascht nicht sonderlich, dass die FDP jede Menge Stimmen von der Union geklaut hat. Der CDU selbst konnte es egal sein (auch wenn die CSU böse war), der rechte Flügel der Union konnte so sicherstellen, dass die SPD aus der Regierung fliegt. Und dass die FDP ein paar Stimmen an Nichtwähler verloren hat - was soll's. Aber dass sie eine halbe Million Zweitstimmen von der SPD geangelt hat, ist erstaunlich. Es mag mal eine Zeit gegeben haben, in der es Schnittmengen dieser Parteien gab und deren Wähler sich nahe gestanden haben mögen. Aber jetzt?
Da es keine gesonderten Werte zur Wählerwanderung der CSU gibt, lässt sich jedoch nur vermuten, dass sie strategische Wählerwanderung zur FDP (um eben die SPD zu kicken) in Bayern besonders stark ausgeprägt war. Das jedenfalls behauptet der Spiegel.

Was die Grünen angeht: Auch die haben von der SPD fast alles abgeräumt, 860.000 Stimmen. Ansonsten lediglich fünfstellige Summen, nicht der Rede wert.

Woher kommen nun die Piraten? Erstmal: Erstwähler. Männliche Erstwähler wählten zu 12% die Piratenpartei. Es ist nur zu spekulieren, woher die Piraten sonst kommen. Im ARD-Wahlmonitor, ebenso in anderen Analysen, werden die Piraten unter "Andere" gefasst. "Andere" wiederum, von denen die Piraten einen großen Teil darstellen, haben in der Summe 60.000 Stimmen an Nichtwähler verloren. Natürlich kann es sein, dass einige Parteien an nicht Nichtwähler verloren, gleichzeitig aber die Piratenpartei gewonnen hat - allerdings kann ich mir nur schwer vorstellen, dass ehemalige Nichtwähler sich plötzlich durch die Propagierung von Bürgerrechten und Internetfreiheit zur Wahl motivieren lassen. Anders gesagt: Deren Themen sind zu oft, um Protestpotential zu entfalten.

Nur wenige Internetseiten widmen sich er Frage, woher die Stimmen der Piraten kommen (wenn ich mich an dieser Stelle irre, bin ich für Material sehr dankbar!). Wenig repräsentativ ist diese kleine offene Umfrage unter 1739 Personen auf "tinseeber.de", die einem aber zumindest eine Idee vermittelt: Piratenwähler wurden gefragt, was sie zuvor gewählt hatten. Einstellige Werte für CDU, Linke, Sonstige und Nichtwähler, zweistellige Werte für FDP, SPD und die Grünen mit dem Höchstwert von 25%. Wendet man ein klassisches Links/Rechts-Spektrum an, liegt somit der Verdacht nahe, dass die Wanderung zu den Piraten immer größer wird, je weiter man sich von (egal welchem) Rand entfernt.
So vermutet auch ein Blogger namens Enno, der sich selbst in einem ausführlichem Beitrag als Piratenwähler bekennt, dass Piraten sich im Wesentlichen - abgesehen von Erstwählern - aus ehemaligen FDP-, Grünen- und SPD-Wählern zusammensetzen. Der FDP kommt dabei ein kleinerer Teil zu, den Grünen und der SPD deutlich mehr.Klingt soweit überzeugend und ich sehe nicht, warum ich mich dem nicht anschließen sollte, bis etwas dagegen spricht.

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Doch zum Abschluss noch etwas leichtere Kost, wie sie der Bundeswahlleiter liefert:

  • Das Durchschnittsalter der Abgeordneten des Deutschen Bundestages wird 49,24 Jahre betragen.
  • Die SPD ist am ältesten: 51,64 Jahre. (Für die SPD ist das Jung. ich kenne Ortsvereine, in denen ist keiner unter 110.)
  • Die SPD wird gefolgt von CDU und CSU. Dann kommen Die Linke, die FDP und schließlich die Grünen mit knackigen 46,62 Jahren.
  • Der jüngste Bundestagsabgeordnete ist Florian Bemschneider von der FDP, Jahrgang 1986. 
  • Der älteste ist Prof. Dr. Heinz Riesenhuber von der CDU, Jahrgang 1935.
  • die CSU hat keinen unter 30 im Parlament.
  • Hans-Christian Ströbele ist der älteste Grüne im Bundestag. Der Freak hat sich zum dritten mal in Folge sein Direktmandat gesichert.
  • alphabetische Extreme: Ackermann, Jens (FDP) und Zypries, Brigitte (SPD).
  • selbst im Osten hat die NPD verkackt.
  • für die Partei Bibeltreuer Christen hat sich im Osten jedoch keine Sau interessiert.
  • Der Loser in Sachen Direktmandat heißt "Erstunterlegener". Loser!
  • Die höchste Wahlbeteiligung hatte der Wahlkreis 181 "Main-Taunus", 79,7 Prozent.
  • die niedrigste Wahlbeteiligung hatte der Kreis 072 "Anhalt" in...na? Sachsen-Anhalt, 57,7%.
  • Die drei Wahlkreise mit der niedrigsten Wahlbeteiligung kommen alle aus Sachsen-Anhalt.
  • der Wahlkreis 117 "Duisburg II" ist der Wahlkreis mit der niedrigsten Wahlbeteiligung in den alten Bundesländern, 60,1%.
  • Bester Wahlkreis für die SPD. 42%, Gelsenkirchen. Schlechtester: "Erzgebirgskreis I, 12,0%.
  • Die Union konnte immerhin einmal 54,5% erreichen, in Cloppenburg-Vechta, Lower Saxony. In Berlin-Kreuzberg gab's hingegen nur 11,9%.
  • 21,9% gab's für die FDP in Rottweil-Tuttlingen.
  • 41,2% für die Linke in Berlin-Lichtenberg. 4,1% und damit schlechtestes (!) Ergebnis in Starnberg, Bayern.
  • wo die CDU scheiterte, gab's den Sieg für die Grünen: 27,2% in Berlin-Kreuzberg. In der Lausitz jedoch nur 3,5% für die Grünen, Wahlkreis "Elbe-Elster".
  • Ich dachte, dass die CSU in Bayern reihenweise 95% holt; doch das Spitzenergebnis liegt lediglich bei 51,9%, Wahlkreis Jodelidudeldö. 29,9% in Nürnberg-Nord. Das liegt sicher daran, dass Günter Beckstein, der Vorzeigefranke, tot ist. Fast.
  • 16 Lehrer im Deutschen Bundestag, 54 Juristen und ähnliches Zeug..4 Ärzte, 22 Unternehmensberater. 21 Ingenieure/Chemiker/Physiker. 3 Metall- oder Maschinenbauer. 5 Bauern. Einer ausm Bergbau.
  • Alles in Allem haben wir 622 Vertreter unserer selbst gewählt. 418 Männer, 204 Frauen. Ich glaube, das wird eine colle Zeit.

Gruß,
Eure Crepes

2 Kommentare:

  1. Best analysis ever read. compliments :)

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  2. Servus

    Jeder Webmaster der schon mal eine Abmahnung hatte oder Probleme mit irgendwelchen Stasi ähnlichen Behörden wird mit Sicherheit für die Piraten gestimmt haben. Dazu kommt das eine Branche die das Internet erst groß gemacht hat in den anfängen heute in Deutschland fast ausgemerzt ist. Die Pornoseiten Betreiber. Sie leben mittlerweile fast alle im Ausland (aber Stimmberechtigt) und betreiben ihre Seiten vm Ausland aus weil sie verkriminalisiert wurden.

    Zensursula hlte das Volk nicht besser wachrütteln können mit ihrem Schwachsinn. Nun hat auch die Freiheit im Internet eine Stimme

    Dirk von http://www.bogusgold.com/

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